Wednesday, 1 May 2013

Die therapeutische Bedeutung von Christentum und Kirche nach Eugen Drewermann


Die therapeutische Bedeutung von Christentum und Kirche                                       nach Eugen Drewermann

Referat und schriftliche Ausarbeitung von Jossy John und Daniel Gerte


Übersicht

1. Eugen Drewermann – Person und Ansatz
1.1. Skizze zu seinem Werdegang
1.2. Theologischer und psychologischer Ansatz
1.3. Konflikte mit dem Lehramt

2. Anthropologische Ausgangslage
2.1. Psychologische Anamnese: Die Angst als Kernproblem
2.2. (Erb-)Sünde, Schuld und Neurose
2.3. Moralisierung durch Religionen

3. Bedeutung therapeutischen Handelns in Christentum und Kirche
3.1. Grundlegendes
3.2. Heilung durch Erlösung

4. Zielperspektive






Literatur:
Drewermann, Eugen: Wort des Heils, Wort der Heilung. Band II. Düsseldorf 1989.
Ders.: Psychoanalyse und Moraltheologie. Band I: Angst und Schuld. Mainz 1982.
Ders.: Tiefenpsychologie und Exegese. Band I. Olten 1984.

1. Eugen Drewermann – Person und Ansatz

1.1. Skizze zu seinem Werdegang

Eugen Drewermann studierte von 1959 bis 1965 Philosophie Münster und Katholische Theologie in Paderborn. Im Jahr 19666 wurde er zum Priester geweiht und arbeitete als Studentenseelsorger und 1974 auch als Subsidiar in Paderborn. Es folgte 1968 ein Studium in Psychoanalyse, welches er in Göttingen absolvierte. 1978 habilitierte er sich in Theologie. Ab 1979 war er Privatdozent an der Theol. Fakultät in Paderborn. Nach Kontroversen mit dem kirchlichen Lehramt entzog ihm 1991 der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die Lehr- und 1992 die Predigterlaubnis. Im selben Jahr noch erfolgte die Suspension vom Priesteramt. Konfliktpotenzial lag in den Ansichten Drewermanns hinsichtlich der Moraltheologie und Schriftauslegung. Noch heute ist Eugen Drewermann Schriftsteller (neuste Reihe: Das Lukasevangelium, Patmos 2009), Redner, Psychotherapeut, Seelsorger und Lehrbeauftragter. Am 20. Juni 2005, seinem 65. Geburtstag, trat Eugen Drewermann aus der röm.-kath. Kirche aus. Dazu nutze er das Fernsehen als Medium, um diese Nachricht zu verbreiten („Menschen bei Maischberger“, Dezember 2005).

1.2. Theologischer und psychologischer Ansatz

Drewermann stellt die urmenschlichen Erfahrungen von Angst und Vertrauen ins Zentrum seiner Ausarbeitungen. Er kann zahlreiche Veröffentlichungen zu tiefenpsychologischen Deutungen biblischer Perikopen vorweisen (bekanntestes Werk dazu: Tiefenpsychologie und Exegese, Band I + II, Walter 1984). Zudem kommen weitere Interpretationen zu Märchen, Sagen und Legenden. Vorlagen für seine Werke boten z.B. die Psychoanalytiker Sigmund Freud, Carl Gustav Jung, Erich Fromm und Daniel Stern. Eine herausragende Gestalt ist für Drewermann bis heute der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard.
Eugen Drewermann sieht in der therapeutisch heilenden Beziehung zu Gott ein spezifisch christliches Moment, welches auch eine Basis für die Veränderung in Kirche und Gesellschaft sein könne. Einige öffentliche Reaktionen verglichen diesen Ansatz mit Traditionen christlicher Mystik. Ein großes Problem stellt nach Drewermann der Herrschaftswille der abrahamitischen Religionen über den Menschen dar. Im Buddhismus und Hinduismus hingegen würde der Mensch stärker als Teil der Natur  in einem harmonischen Gesamtbild verstanden (derartige Entgegensetzungen hatte bereits Schopenhauer formuliert). Seiner im biblischen Erbe festgeschriebenen Naturfremdheit wegen sei das Christentum unfähig zum Frieden. Insbesondere beinhalte das Neue Testament antisemitische und antijudaische Tendenzen, die zurückzunehmen seien.
Aber auch innerkirchliche Themen unterstanden der kritischen Prüfung Drewermanns. So verfasste er Traktate zu den Problemfällen Abtreibung, Wiederverheiratung Geschiedener, Sexualität, Friedenspolitik usw. Der große Durchbruch gelang ihm mit seinem Buch „Kleriker – Psychogramm eines Ideals“ (versch. Verlage). All diesen Themen unterzog er tiefenpsychologischen Analysen die im Laufe der Zeit aber nicht unumstritten blieben.

1.3. Konflikte mit dem Lehramt

Durch die stetige Konzentration auf die tiefenpsychologischen Ausarbeitungen geriet Drewermann in Konflikt mit dem katholischen Lehramt. Verbindliche Glaubensinhalte der röm.-kath. Kirche wurden symbolisch gedeutet und insofern bestritten, als dass es sich bei Ereignissen wie z.B. der Jungfrauengeburt um Wirklichkeiten handle, welche als äußerliche Tatsache manifestierbar wären. Auf die Empfehlung des damaligen Vorsitzenden der Glaubenskongregation, Josef Ratzinger, schränkte der Paderborner Erzbischof das Wirken Drewermanns ein. Leider hat im Zuge der Suspendierung das Interesse auf die Werke Drewermanns stark abgenommen. Damit sind nicht nur die fragwürdigen Ansätze in Vergessenheit geraten, sondern ebenso die theologisch und psychologisch wertvollen Ausführungen, die im 21. Jahrhundert der Kirche eine neue Ausrichtung verleihen könnten. Im nächsten Schritt sollen einige Gedanken aufgegriffen und diskutiert werden.


2. Anthropologische Ausgangslage

2.1. Psychologische Anamnese: Die Angst als Kernproblem

Drewermann nennt -ähnlich wie Biser- die Angst als ein Grundphänomen der menschlichen Existenz: „Alles Unheil der menschlichen Psyche stammt in psychoanalytischer Sicht der Angst des Menschen…“. Angst werde nicht nur von außen an den Menschen herangetragen, sondern gehöre wesentlich zum Subjekt. Der Mensch sei im Gegensatz zum Tier ein reflektiertes Wesen; er sei sich seinem Dasein im vollen Umfang bewusst. Armut, Krankheit und Tod sind nur einige Aspekte, welche ihn unmittelbar bedrohen und denen er nicht ausweichen kann. Der schlimmste Fall wäre jener, bei dem ein Sterbender Mensch feststellen muss, dass er sein Leben verfehlt hat. Kann die Psychologie von dieser Dramatik befreien? Nein, denn Angst ist existenziell; ihre Abwesenheit würde bedeuten, dass der Mensch kein Mensch mehr sei (Bewusstseins- und Freiheitsmangel).

2.2. (Erb-)Sünde, Schuld und Neurose

In einem Traktat über Sünde und Neurose zeigt Drewermann die Verbindung von Psychologie und Theologie auf. Historisch betrachtet verstand man unter Sünde in erster Linie die Abkehr von Gott. Drewermann geht einen Schritt weiter und erläutert unter Berücksichtigung einer Schrift von Sören Kierkegaard, dass „es vor Gott Sünde sei, verzweifelt zu sein.“ Verzweiflung sei, in einem Satz gesprochen, ein Missverhältnis zu sich selbst. Dieses Missverhältnis manifestiere sich in der Abhängig zu Menschen oder Materialien. Ein Beispiel: Ein Haus brennt ab. Der Eigentümer hing sehr an seinem Eigenheim, sodass ihn dieses Geschehen verzweifelt. Vorher war er glücklich. Da stellt sich die Frage: Hat der Umstand, nämlich der eines materiellen Verlustes, diesen Eigentümer existenziell unglücklich gemacht? Drewermann verweist in solch einer Situation darauf, dass der Mensch, der solche Muster zeigt, eine schon gegebene, latente Verzweiflung aufdeckt. So stellt er mit Kierkegaard die These auf, „dass niemals jemand an etwas Äußerem verzweifelt, [] sondern immer an sich selber; anders ausgedrückt, dass die Verzweiflung im Grunde immer ein Missverhältnis zu sich selber ist. Dieser Verzweiflung liegt laut dem Verfasser die Angst zu Grunde. Und Angst habe der Mensch vor seiner Freiheit. Was läge da näher, als sein Leben nur nach äußeren Notwenigkeiten aufzurichten. Damit schafft er seine Freiheit ab. Nunmehr eröffnet sich ein Spannungsbogen zwischen „Notwendigkeit“ und „Möglichkeit“.
An dieser Stelle sei ein Wort zur Erbsünde gesagt. Drewermann erläutert, dass die Erbsündenlehre dem Mensch etwas zu sagen hat; dass diese Lehre von der Ursünde da sei, um den Menschen besser zu verstehen. Hier lautet seine These, dass die Lehre von der Ursünde eine Sichtweise darstellt, „die den Menschen in den Verstrickungen des Bösen gütiger und gerechter zu sehen lehrt, als es alle moralischen Betrachtungen zu tun vermögen.“ Mit anderen Worten: Da in allem Bösen eine tiefe Angst steckt, und diese davon nicht weg zu denken ist, lassen sich sündige Verhaltensmuster zwar nicht verstehen, aber dennoch bestenfalls erklären. Als Beispiel hierfür nennt Drewermann Gen 3, 1-7. Was den Menschen in dieser Perikope böse macht, ist „offenbar die unendliche Hilflosigkeit, mit der ein jeder aus lauter Angst, Gott zu verlieren, all seinen guten Willen anstrengt, bis er am Ende, um der Angst zu entgehen, selber »wie Gott« sein muss.“ Seine Angst und der damit einhergehende Wertigkeitsverlust zwingt den Menschen dazu, seinen Zustand zu kompensieren und dramatische Formen an Macht und Größe anzunehmen.

2.3. Moralisierung durch Religionen

Ein Hauptvorwurf Drewermanns ist die Moralisierung durch die Religionen, besonders auch durch das Christentum. Er beklagt sich über das Moralisieren des Evangeliums, unterstützt durch die Kirche. Dies sei eine weit reichende Tragödie. Gott wäre somit nichts weiter als eine moralische Instanz. Die Aufgabe der Kirche sei, den Menschen aufzuzeigen, wie ihr Leben mit Hilfe einer tragfähigen Moral gelingen kann.



3. Bedeutung therapeutischen Handelns in Christentum und Kirche

3.1. Grundlegendes

Eugen Drewermanns Ausführung zur therapeutischen Dimension des Christentums bzw. der Kirche ist vielfältig. Einige wesentliche Punkte seien hier skizziert, damit ein Überblick über die Thematik gewährleistet werden kann.
Grundsätzlich will die Psychoanalyse im Allgemeinen helfen, durch bestimmte Methoden die Erlebnisse eines Menschen zu reflektieren, welcher einer psychischen Erkrankung unterliegt. Eine Therapie verhilft, die wahre Genialität sowie die außergewöhnlichen großen intellektuellen und künstlerischen Begabungen zu finden. Das bedeutet in erster Linie, dass der Klient erlernen muss, ein gesundes Vertrauen zu sich selbst aufzubauen und gleichsam eine Form der Ehrlichkeit bei sich selbst zu entwickeln. Gelingt dies, so besitzt der Mensch die Kompetenz, mit seinen Ängsten in einer adäquaten Weise umzugehen, sodass sie nicht mehr lebenshinderlich ist.

3.2. Heilung durch Erlösung

„Dann ist der Sinn, das Ziel der Religion unschwer verstehbar, wenn sie sagt, einzig ein Glaube, der die Angst besiege, sei imstande, den Menschen, der vom Bösen krank sei, von der Wurzel her zu heilen.“
In dieser Aussage Drewermanns spiegelt sich wieder, worum es ihm im Kern geht: Die Religionen haben den Auftrag, durch ihre Botschaft den Menschen von der Angst zu befreien. In besonderer Weise trifft dies auf das Christentum zu. Ihre „frohe Botschaft“, sprich „die Botschaft von der Erlösung der Angst“ manifestiert sich in einer konkreten Person: Jesus Christus. Der Glaube an ihn ist der Garant für ein gelingendes Leben. Der Auftrag der Kirche besteht nun darin, dieses Angebot den Gläubigen in einer angemessenen Art und Weise darzulegen. Von daher lässt sich auch ihr missionarisches Engagement verstehen: „Der Glaube, der heilt, ist so universell wie die menschliche Not, und ein jeder Mensch ist berufen, das Paradies seines Lebens wiederzufinden. Insofern kann der Glaube gerade der Heilungswunder nur ein Glaube sein, der allen Menschen zukommt und den alle Menschen brauchen.“
Das Neue Testament macht den gemeinsamen Auftrag von Psychotherapie und Seelsorge transparent: Den Kranken durch Handauflegung die Dämonen vertreiben und verkünden, dass das Gottesreich nahe sei. Diese Handauflegung wäre ein Zeichen, welches besagen soll, dass „das eigene Ich soweit gestärkt, gesichert und für wichtig genommen fühlt, dass es selber sich wieder abzugrenzen bzw. durchzusetzen lernt und das bislang scheinbar Fremde und Äußere als etwas Eigenes innerlich integrieren kann.“ Die Kirche besitzt Instrumentalien, die eine Erlösung von der Angst durch spezifische Riten (z.B. Sakramente) erreichen möchte. Dadurch soll ein Vertrauen gewonnen werden, ein „Hineinfallenlassen“ in die Hände dessen, der Urheber allen Lebens ist und ein eindeutiges „JA“ zu uns Menschen spricht. Eine Heilung ist nach Drewermann dann geschehen, wenn der Mensch mit Hilfe dieses vernünftigen Vertrauens an Gott sich angenommen fühlt, wenn er die Gnade spürt, welche ihm bei sich selbst zu Hause sein lässt.


4. Zielperspektive

Der Kirche kommt also die vornehme Aufgabe zu, die Menschwerdung eines jeden zu unterstützen. Wie bereits oben angedeutet, kann dies nicht anhand einer abstrafenden Moralisierung des Evangeliums geschehen. Vielmehr muss die Kirche versuchen, die Bibel- und Lehraussagen in der Gestalt zu deuten, dass jeder Mensch einen Zugang dazu bekommen kann. Diese induktive Methodik setzt natürlich die freie Zustimmung eines jeden voraus; nur so kann Erlösung stattfinden. Die therapeutische Rolle der Kirche besteht nach Drewermann in einem Für- und Miteinander der Theologie und Psychoanalyse auf der Basis des Evangeliums. Die Kirche ist seiner Meinung nach noch lange nicht dort angekommen, wehrt sich sogar gegen diesen Ansatz.
Zusammengefasst: Eugen Drewermann plädiert für den Einzug der Psychoanalyse in die Theologie. Eine Theologie, die den Mensch annimmt ohne ihn zu strafen hat die Chance, eine wirkliche Heilung am Menschen möglich zu machen. Allerdings darf Psychoanalyse nicht als Gegner der Moral, sondern als Partner gesehen werden. Wo eine Integration glückt, da kann dem Menschen existenziell geholfen werden.
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