Die therapeutische Bedeutung von Christentum und Kirche nach Eugen Drewermann
Referat und schriftliche Ausarbeitung von Jossy John und Daniel Gerte
Übersicht
1. Eugen Drewermann – Person und Ansatz
1.1. Skizze zu seinem Werdegang
1.2. Theologischer und psychologischer Ansatz
1.3. Konflikte mit dem Lehramt
2. Anthropologische Ausgangslage
2.1. Psychologische Anamnese: Die Angst als Kernproblem
2.2. (Erb-)Sünde, Schuld und Neurose
2.3. Moralisierung durch Religionen
3. Bedeutung therapeutischen Handelns in Christentum und Kirche
3.1. Grundlegendes
3.2. Heilung durch Erlösung
4. Zielperspektive
Literatur:
Drewermann, Eugen: Wort des Heils, Wort der Heilung. Band II. Düsseldorf 1989.
Ders.: Psychoanalyse und Moraltheologie. Band I: Angst und Schuld. Mainz 1982.
Ders.: Tiefenpsychologie und Exegese. Band I. Olten 1984.
1. Eugen Drewermann – Person und Ansatz
1.1. Skizze zu seinem Werdegang
Eugen
Drewermann studierte von 1959 bis 1965 Philosophie Münster und
Katholische Theologie in Paderborn. Im Jahr 19666 wurde er zum Priester
geweiht und arbeitete als Studentenseelsorger und 1974 auch als
Subsidiar in Paderborn. Es folgte 1968 ein Studium in Psychoanalyse,
welches er in Göttingen absolvierte. 1978 habilitierte er sich in
Theologie. Ab 1979 war er Privatdozent an der Theol. Fakultät in
Paderborn. Nach Kontroversen mit dem kirchlichen Lehramt entzog ihm 1991
der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die Lehr- und
1992 die Predigterlaubnis. Im selben Jahr noch erfolgte die Suspension
vom Priesteramt. Konfliktpotenzial lag in den Ansichten Drewermanns
hinsichtlich der Moraltheologie und Schriftauslegung. Noch heute ist
Eugen Drewermann Schriftsteller (neuste Reihe: Das Lukasevangelium,
Patmos 2009), Redner, Psychotherapeut, Seelsorger und Lehrbeauftragter.
Am 20. Juni 2005, seinem 65. Geburtstag, trat Eugen Drewermann aus der
röm.-kath. Kirche aus. Dazu nutze er das Fernsehen als Medium, um diese
Nachricht zu verbreiten („Menschen bei Maischberger“, Dezember 2005).
1.2. Theologischer und psychologischer Ansatz
Drewermann
stellt die urmenschlichen Erfahrungen von Angst und Vertrauen ins
Zentrum seiner Ausarbeitungen. Er kann zahlreiche Veröffentlichungen zu
tiefenpsychologischen Deutungen biblischer Perikopen vorweisen
(bekanntestes Werk dazu: Tiefenpsychologie und Exegese, Band I + II,
Walter 1984). Zudem kommen weitere Interpretationen zu Märchen, Sagen
und Legenden. Vorlagen
für seine Werke boten z.B. die Psychoanalytiker Sigmund Freud, Carl
Gustav Jung, Erich Fromm und Daniel Stern. Eine herausragende Gestalt
ist für Drewermann bis heute der dänische Religionsphilosoph Sören
Kierkegaard.
Eugen
Drewermann sieht in der therapeutisch heilenden Beziehung zu Gott ein
spezifisch christliches Moment, welches auch eine Basis für die
Veränderung in Kirche und Gesellschaft sein könne. Einige öffentliche
Reaktionen verglichen diesen Ansatz mit Traditionen christlicher Mystik.
Ein großes Problem stellt nach Drewermann der Herrschaftswille der
abrahamitischen Religionen über den Menschen dar. Im Buddhismus und
Hinduismus hingegen würde der Mensch stärker als Teil der Natur in
einem harmonischen Gesamtbild verstanden (derartige Entgegensetzungen
hatte bereits Schopenhauer formuliert). Seiner im biblischen Erbe
festgeschriebenen Naturfremdheit wegen sei das Christentum unfähig zum
Frieden. Insbesondere beinhalte das Neue Testament antisemitische und
antijudaische Tendenzen, die zurückzunehmen seien.
Aber
auch innerkirchliche Themen unterstanden der kritischen Prüfung
Drewermanns. So verfasste er Traktate zu den Problemfällen Abtreibung,
Wiederverheiratung Geschiedener, Sexualität, Friedenspolitik usw. Der
große Durchbruch gelang ihm mit seinem Buch „Kleriker – Psychogramm
eines Ideals“ (versch. Verlage). All diesen Themen unterzog er
tiefenpsychologischen Analysen die im Laufe der Zeit aber nicht
unumstritten blieben.
1.3. Konflikte mit dem Lehramt
Durch
die stetige Konzentration auf die tiefenpsychologischen Ausarbeitungen
geriet Drewermann in Konflikt mit dem katholischen Lehramt. Verbindliche
Glaubensinhalte der röm.-kath. Kirche wurden symbolisch gedeutet und
insofern bestritten, als dass es sich bei Ereignissen wie z.B. der
Jungfrauengeburt um Wirklichkeiten handle, welche als äußerliche
Tatsache manifestierbar wären. Auf die Empfehlung des damaligen
Vorsitzenden der Glaubenskongregation, Josef Ratzinger, schränkte der
Paderborner Erzbischof das Wirken Drewermanns ein. Leider hat im Zuge
der Suspendierung das Interesse auf die Werke Drewermanns stark
abgenommen. Damit sind nicht nur die fragwürdigen Ansätze in
Vergessenheit geraten, sondern ebenso die theologisch und psychologisch
wertvollen Ausführungen, die im 21. Jahrhundert der Kirche eine neue
Ausrichtung verleihen könnten. Im nächsten Schritt sollen einige
Gedanken aufgegriffen und diskutiert werden.
2. Anthropologische Ausgangslage
2.1. Psychologische Anamnese: Die Angst als Kernproblem
Drewermann nennt -ähnlich wie Biser- die Angst als ein Grundphänomen der menschlichen Existenz: „Alles Unheil der menschlichen Psyche stammt in psychoanalytischer Sicht der Angst des Menschen…“.
Angst werde nicht nur von außen an den Menschen herangetragen, sondern
gehöre wesentlich zum Subjekt. Der Mensch sei im Gegensatz zum Tier ein
reflektiertes Wesen; er sei sich seinem Dasein im vollen Umfang bewusst.
Armut, Krankheit und Tod sind nur einige Aspekte, welche ihn
unmittelbar bedrohen und denen er nicht ausweichen kann. Der schlimmste
Fall wäre jener, bei dem ein Sterbender Mensch feststellen muss, dass er
sein Leben verfehlt hat. Kann die Psychologie von dieser Dramatik
befreien? Nein, denn Angst ist existenziell; ihre Abwesenheit würde
bedeuten, dass der Mensch kein Mensch mehr sei (Bewusstseins- und
Freiheitsmangel).
2.2. (Erb-)Sünde, Schuld und Neurose
In
einem Traktat über Sünde und Neurose zeigt Drewermann die Verbindung
von Psychologie und Theologie auf. Historisch betrachtet verstand man
unter Sünde in erster Linie die Abkehr von Gott. Drewermann geht einen
Schritt weiter und erläutert unter Berücksichtigung einer Schrift von
Sören Kierkegaard, dass „es vor Gott Sünde sei, verzweifelt zu sein.“ Verzweiflung
sei, in einem Satz gesprochen, ein Missverhältnis zu sich selbst.
Dieses Missverhältnis manifestiere sich in der Abhängig zu Menschen oder
Materialien. Ein Beispiel: Ein Haus brennt ab. Der Eigentümer hing sehr
an seinem Eigenheim, sodass ihn dieses Geschehen verzweifelt. Vorher
war er glücklich. Da stellt sich die Frage: Hat der Umstand, nämlich der
eines materiellen Verlustes, diesen Eigentümer existenziell unglücklich
gemacht? Drewermann verweist in solch einer Situation darauf, dass der
Mensch, der solche Muster zeigt, eine schon gegebene, latente
Verzweiflung aufdeckt. So stellt er mit Kierkegaard die These auf, „dass niemals jemand an etwas Äußerem verzweifelt, […] sondern immer an sich selber; anders ausgedrückt, dass die Verzweiflung im Grunde immer ein Missverhältnis zu sich selber ist. Dieser
Verzweiflung liegt laut dem Verfasser die Angst zu Grunde. Und Angst
habe der Mensch vor seiner Freiheit. Was läge da näher, als sein Leben
nur nach äußeren Notwenigkeiten aufzurichten. Damit schafft er seine
Freiheit ab. Nunmehr eröffnet sich ein Spannungsbogen zwischen
„Notwendigkeit“ und „Möglichkeit“.
An
dieser Stelle sei ein Wort zur Erbsünde gesagt. Drewermann erläutert,
dass die Erbsündenlehre dem Mensch etwas zu sagen hat; dass diese Lehre
von der Ursünde da sei, um den Menschen besser zu verstehen. Hier lautet seine These, dass die Lehre von der Ursünde eine Sichtweise darstellt, „die
den Menschen in den Verstrickungen des Bösen gütiger und gerechter zu
sehen lehrt, als es alle moralischen Betrachtungen zu tun vermögen.“ Mit
anderen Worten: Da in allem Bösen eine tiefe Angst steckt, und diese
davon nicht weg zu denken ist, lassen sich sündige Verhaltensmuster zwar
nicht verstehen, aber dennoch bestenfalls erklären. Als Beispiel
hierfür nennt Drewermann Gen 3, 1-7. Was den Menschen in dieser Perikope
böse macht, ist „offenbar
die unendliche Hilflosigkeit, mit der ein jeder aus lauter Angst, Gott
zu verlieren, all seinen guten Willen anstrengt, bis er am Ende, um der
Angst zu entgehen, selber »wie Gott« sein muss.“ Seine
Angst und der damit einhergehende Wertigkeitsverlust zwingt den
Menschen dazu, seinen Zustand zu kompensieren und dramatische Formen an
Macht und Größe anzunehmen.
2.3. Moralisierung durch Religionen
Ein
Hauptvorwurf Drewermanns ist die Moralisierung durch die Religionen,
besonders auch durch das Christentum. Er beklagt sich über das
Moralisieren des Evangeliums, unterstützt durch die Kirche. Dies sei
eine weit reichende Tragödie. Gott wäre somit nichts weiter als eine
moralische Instanz. Die Aufgabe der Kirche sei, den Menschen
aufzuzeigen, wie ihr Leben mit Hilfe einer tragfähigen Moral gelingen
kann.
3. Bedeutung therapeutischen Handelns in Christentum und Kirche
3.1. Grundlegendes
Eugen
Drewermanns Ausführung zur therapeutischen Dimension des Christentums
bzw. der Kirche ist vielfältig. Einige wesentliche Punkte seien hier
skizziert, damit ein Überblick über die Thematik gewährleistet werden kann.
Grundsätzlich
will die Psychoanalyse im Allgemeinen helfen, durch bestimmte Methoden
die Erlebnisse eines Menschen zu reflektieren, welcher einer psychischen
Erkrankung unterliegt. Eine Therapie verhilft, die wahre Genialität
sowie die außergewöhnlichen großen intellektuellen und künstlerischen
Begabungen zu finden. Das bedeutet in erster Linie, dass der Klient
erlernen muss, ein gesundes Vertrauen zu sich selbst aufzubauen und
gleichsam eine Form der Ehrlichkeit bei sich selbst zu entwickeln.
Gelingt dies, so besitzt der Mensch die Kompetenz, mit seinen Ängsten in
einer adäquaten Weise umzugehen, sodass sie nicht mehr lebenshinderlich
ist.
3.2. Heilung durch Erlösung
„Dann
ist der Sinn, das Ziel der Religion unschwer verstehbar, wenn sie sagt,
einzig ein Glaube, der die Angst besiege, sei imstande, den Menschen,
der vom Bösen krank sei, von der Wurzel her zu heilen.“
In
dieser Aussage Drewermanns spiegelt sich wieder, worum es ihm im Kern
geht: Die Religionen haben den Auftrag, durch ihre Botschaft den
Menschen von der Angst zu befreien. In besonderer Weise trifft dies auf
das Christentum zu. Ihre „frohe Botschaft“, sprich „die Botschaft von
der Erlösung der Angst“ manifestiert sich in einer konkreten Person:
Jesus Christus. Der Glaube an ihn ist der Garant für ein gelingendes
Leben. Der Auftrag der Kirche besteht nun darin, dieses Angebot den
Gläubigen in einer angemessenen Art und Weise darzulegen. Von daher
lässt sich auch ihr missionarisches Engagement verstehen: „Der
Glaube, der heilt, ist so universell wie die menschliche Not, und ein
jeder Mensch ist berufen, das Paradies seines Lebens wiederzufinden.
Insofern kann der Glaube gerade der Heilungswunder nur ein Glaube sein,
der allen Menschen zukommt und den alle Menschen brauchen.“
Das
Neue Testament macht den gemeinsamen Auftrag von Psychotherapie und
Seelsorge transparent: Den Kranken durch Handauflegung die Dämonen
vertreiben und verkünden, dass das Gottesreich nahe sei. Diese
Handauflegung wäre ein Zeichen, welches besagen soll, dass „das
eigene Ich soweit gestärkt, gesichert und für wichtig genommen fühlt,
dass es selber sich wieder abzugrenzen bzw. durchzusetzen lernt und das
bislang scheinbar Fremde und Äußere als etwas Eigenes innerlich
integrieren kann.“ Die
Kirche besitzt Instrumentalien, die eine Erlösung von der Angst durch
spezifische Riten (z.B. Sakramente) erreichen möchte. Dadurch soll ein
Vertrauen gewonnen werden, ein „Hineinfallenlassen“ in die Hände dessen,
der Urheber allen Lebens ist und ein eindeutiges „JA“ zu uns Menschen
spricht. Eine Heilung ist nach Drewermann dann geschehen, wenn der
Mensch mit Hilfe dieses vernünftigen Vertrauens an Gott sich angenommen
fühlt, wenn er die Gnade spürt, welche ihm bei sich selbst zu Hause sein
lässt.
4. Zielperspektive
Der
Kirche kommt also die vornehme Aufgabe zu, die Menschwerdung eines
jeden zu unterstützen. Wie bereits oben angedeutet, kann dies nicht
anhand einer abstrafenden Moralisierung des Evangeliums geschehen.
Vielmehr muss die Kirche versuchen, die Bibel- und Lehraussagen in der
Gestalt zu deuten, dass jeder Mensch einen Zugang dazu bekommen kann.
Diese induktive Methodik setzt natürlich die freie Zustimmung eines
jeden voraus; nur so kann Erlösung stattfinden. Die therapeutische Rolle
der Kirche besteht nach Drewermann in einem Für- und Miteinander der
Theologie und Psychoanalyse auf der Basis des Evangeliums. Die Kirche
ist seiner Meinung nach noch lange nicht dort angekommen, wehrt sich
sogar gegen diesen Ansatz.
Zusammengefasst:
Eugen Drewermann plädiert für den Einzug der Psychoanalyse in die
Theologie. Eine Theologie, die den Mensch annimmt ohne ihn zu strafen
hat die Chance, eine wirkliche Heilung am Menschen möglich zu machen.
Allerdings darf Psychoanalyse nicht als Gegner der Moral, sondern als
Partner gesehen werden. Wo eine Integration glückt, da kann dem Menschen
existenziell geholfen werden.
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