Saturday, 29 June 2013

4. Die kirchliche Verfassung

4. Die kirchliche Verfassung


Für den Bestand der christlichen Gemeinden und ihr gemeinschaftliches Leben trug der Ausbau ihrer Ordnungsformen entscheidend bei. Jesu gab keine konkrete Form von Ämtern in den Gemeinden, wohl aber eine Weisung: Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein (Mk 10,43). Diakonia ist Dienst, der zur Sammlung und Erhaltung der Gemeinde geschieht, der Glauben begründet und erhält, also kirchliches Amt. Das kirchliche Amt ist nicht einfach Folge der nicht kommenden Wiederkunft Christi, denn der Dienst an der Gemeinde galt vom Ursprung her als bleibende Aufgabe.


Die Vielfalt neutestamentlicher Ordnungsformen

- Jerusalem

Die Urgemeinde von Jerusalem war die grundlegende Bedeutung der Zwölf (Apostel), besonders mit Petrus,  als berufene Zeugen des Lebens und der Auferstehung Jesu (Mt 19,28). In Jerusalem übte das Leitungsgremium der drei Säulen, Jakobus, Petrus und Johannes (Gal 2,9), Autorität aus. Daneben nahm ein Kollegium von Ältesten (Presbyteroi) nach dem Vorbild der Synagoge Ordnungsaufgaben (Apg 11,30; 21,18) wahr. Im übrigen war bei wichtigen Angelegenheiten die ganze Gemeinde eingeschaltet. So wirkte bei der Bestellung der Sieben die ganze Schar der Jünger (Apg 6,2.5) mit, und auch die Beschlüsse des Apostelkonzils kamen mit der ganzen Gemeinde (Apg 15,22) zustande. Die erwähnten Sieben - keineswegs Diakone im Sinne des späteren Amtes - galten ihrerseits als Leiter der Hellenisten (kirchliche Verfassung als ein kollegialer Zug).

- Die paulinischen Gemeinden

Ein anderes Bild boten die paulinischen Gemeinden, über deren Ordnungsformen. Vor dem Hintergrund der orga­nischen Leib-Christi-Vorstellung (lKor12,12-27) zählt Paulus vielfache Dienste / Charismen auf. Gott hat in der Kirche die einen als Apostel eingesetzt, die ändern als Propheten, die dritten als Lehrer, ferner verlieh er die Kraft, Wunder zu tun, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede (lKor12,28). Diese Charismen schenkt der Geist Gottes einzelnen Gläubigen zur Auferbauung der Gemeinde (1Kor 12,7) und zum Dienst an den Nichtglaubenden. Neben der Charismen kennt Paulus auch Dienste im Sinne von Beistehen und Leiten, die nach lThess5,12 und Rom12,8 Vorsteher (Proistamenoi) waren. Diese Vorsteher und Mitarbeiter werden Phil 1,1 als Episkopen und Diakone tituliert, wobei die Aufgabe der Episkopen als eines Aufsehers über das Gemeindeleben zu fassen ist. Nicht zu Unrecht hat man festgestellt, dass Episkopen und Diakone weitgehend an die Ortsgemeinde gebunden waren.

Hingegen Apostel, Propheten und Lehrer (l Kor 12,28) waren gesamtkirchlich tätig. Tatsächlich begegnen uns Episkopen nur in heidenchristlichen Gemeinden (Presbytern in Apg 14, 23; 20, 17 ist eine nachträgliche Amtsbezeichnung des Lk) und sie entsprachen den Presbyterkollegien palästinisch-judenchristlicher Ortskirchen. Es entwickelte sich eine gegenseitige Durchdringung der unterschiedlichen Ordnungsformen und ihrer Bezeichnungen (l Tim 3,2; 4,14; 5,17; Tit 1,5.7).

In nachpaulinischer Zeit wurden die Amtsbezeichnungen Episkopos und Presbyter synonym verwendet, ein Zeichen für den Austausch der Verfassungsformen. Die Didache forderte (15,1) den Dienst von Propheten und Lehrern für Bischöfe und Diakone, die von der Gemeinde gewählt wurden; und 1Petr4,10 harmonisiert die Charismenordnung mit der palästinischen Presbyterverfassung. Inzwischen hatte das Episkopenamt an Bedeutung gewonnen. Zusammen mit dem der Diakone umschrieben (lTim3), deren Ursprung im Dienst beim Gemeindemahl zu suchen ist, schärften sich die Konturen des Bischofs, dessen Funktion in der Gemeinde mit der Rolle des Hausvaters (lTim 3,4-l2; Tit 1,7) verglichen wurde, aber auch mit dem alttestamentlichen Leitbild des Hirten angereichert wurde (Apg 20, 28; l Petr 2, 25).



Die Institutionalisierung des kirchlichen Amtes


In einer gespannten Zeit der Erwartung auf die Parusie entwickelte sich das kirchliche Amt. Der Verfasser des ersten Klemensbriefes (96) hat diesen Zusammenhang mit Hilfe des Sukzessionsprinzips hergestellt. Die Apostel empfingen das Evangelium vom Herrn Jesus Christus; Jesus, der Christus, wurde von Gott gesandt. Christus kommt von Gott und die Apostel kommen von Christus her; beides geschah demnach in schöner Ordnung nach Gottes Willen. Sie empfingen also Aufträge, wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewissheit erfüllt und durch das Wort Gottes in der Treue gefestigt, zogen dann mit der Fülle des Heiligen Geistes aus und verkündeten die frohe Botschaft von der Nähe des Gottesreiches. So predigten sie in Stadt und Land und setzten ihre Erstlinge nach vorhergegangener Prüfung im Geiste zu Bischöfen und Diakonen für die künftigen Gläubigen ein. Dies war nichts Neues (Jes60,17): Ich will einsetzen ihre Bischöfe in Gerechtigkeit und ihre Diakone in Treue.

Das Werden des kirchlichen Amtes ordnete den Befund nach dem theologischen Prinzip der Sukzession, um das Kerygma zu sichern. Mit zahlreichen Formen einer Berufung (bis zur Mitwirkung der Gemeinde) erscheint das Amt von Bischöfen und Diakonen als göttliche Setzung; die Rede von bestellten Presbytern unterstreicht nur diese Sicht. Die Handauflegung rabbinischer Praxis hatte ein Charakter der legitimen Einsetzung, während sie in den Pastoralbriefen (lTim4,14; 2Tim2,1) eher als Übertragung des Charismas erscheint. Damit war eine Institutionalisierung des kirchlichen Amtes erreicht,


Der Monepiskopat

Die verschiedenen Dienste und Ämter verwiesen auf eine zunehmende Bedeutung des Episkopos, auch wenn im Westen bis in die Mitte des 2. Jh. kollegiale Organe die Gemeindeleitung ausübten.

l Klem 44,1.5 spricht schon von Presbytern und Episkope (Aufseher) in Rom. Zum ersten Mal begegnet der Monepiskopat bei Ignatios von Antiochien, wonach ein Bischof an der Spitze einer Gemeinde steht, dem ein Kollegium von Presbytern und Diakonen untergeordnet ist. Der Verfasser, Bischof von Syrien [Rom 2,2],  stellt die monarchische Verfassungsform in den Gemeinden [Magn 3,1; Trall 3,1; Smyrn 8,1] dar und so hat er das Verständnis des bischöflichen Amtes stark beeinflusst. Als Abbild Christi bzw. des Vater-Gottes nimmt der Bischof in der Gemeinde eine einzigartige Stellung ein. Er verkündet das Ev-m, das gottesdienstliche Geschehen konzentriert sich in seiner Gestalt, ihm obliegt die Leitung der Gemeinde und als ihr Haupt garantiert er die kirchliche Einheit.

Während des 2. Jh. setzte sich dann der monarchische Episkopat allgemein durch, und er erwies sich in den Konflikten als Angelpunkt kirchlicher Selbstbehauptung. Schon die Kirchenordnung Hippolyts (215) übertrug dem Bischof alle entscheidenden Funktionen in der Gemeinde. Unter Aufnahme alttestamentlicher Leitbilder (Hohenpriester), steigerte die Analogie von himmlischer und kirchlicher Rangordnung; Ihm gehörte eine unantastbare Autorität zu. Liturgie und Verkündigung, Bußgewalt und Gemeindeleitung oblagen dem Bischof, dessen Amt künftig die Verfassung der Kirche prägte. Die Tragweite dieser Entwicklung erhellt aus dem Kirchenverständnis Cyprians von Karthago (+258), der die Einheit der Kirche im Bischof gesichert sah, insofern er Anteil hat an der Felsenfunktion des Erstapostels Petrus. Die Kirche gründet in den Bischöfen, und jede kirchliche Handlung wird durch diese Vorgesetzten geleitet.


Gemeinde und kirchliche Ämter

Der Ausbau der kirchlichen Verfassung verlagerte Kompetenzen und Verantwortung in der Gemeinde auf den Bischof oder den Klerus, der seit Klemens von Alexandrien zur Bezeichnung der bestellten kirchlichen Mitarbeiter diente. Unter Verweis auf die alttestamentliche Kultordnung hatte schon lKlem40,5 den Unterschied zwischen Laien und Priestern propagiert. Obwohl das Volk das Recht den Bischof zu wählen (in eingeschränkter Form) hatte, verstärkte die Sacerdotalisierung der kirchlichen Dienste das Eigengewicht des Klerus, im Sinn eines Standes (ordo).


Die ursprüngliche Reserve gegenüber der Bezeichnung Priester (Iereus, sacerdos), die im NT (Hebr5,6; 7,24) und im Sinne eines allgemeinen Priestertums den Gläubigen (lPetr2,5.9; Offb1,6) verweigern war, wird aufgegeben und auf den Bischof bzw. Presbyter als Vorsteher der eucharistischen Feier übertragen. Durch seine kultische Funktion bekam er priesterliche Qualität, die eine Differenz zum Kirchenvolk markierte.

Entsprechend den Bedürfnissen von Gottesdienst und Gemeindeleben haben sich die kirchlichen Ämter rasch differenziert. Neben Presbyterium und Diakonen zählt Papst Cornelius (251-253) Subdiakone, Akolythen, Exorzisten, Lektoren und Ostiarier auf [h.e. VI 43,11]. Ihre beträchtliche Zahl in der römischen Gemeinde weist auf eine intensive kirchliche Praxis. Die Verkündigung gehörte im Westen zum Aufgabenbereich des Bischofs, es waren auch eigenständige Lehrer tätig.

In der Mitarbeit der Gemeinden begegnen uns von Anfang an auch Frauen (Rom 16,1-15); als Dienerin (Diakonissen) oder Witwen (lTim5,9; Tit2,3) haben sie seelsorglich-karitativ gewirkt und vor allem im Osten eine Einbindung in die kirchliche Ämterreihe erfahren. Allerdings verstärkte das Auftreten von Frauen in häretischen Gemeinschaften den Vorbehalt gegen eine Gleichberechtigung, und man dämmte ihre Wirksamkeit unter Rückgriff auf emanzipationswidrige Leitbilder und asketische Motive ein. Diese Vielfalt der Dienste ermöglichte im übrigen eine Bewährung für höhere Aufgaben in der Gemeinde, wobei die Herkunft aus Priesterfamilien sogar mit dem Traditionsmotiv gekoppelt wurde [h.e. V 24,6].


Die römische Gemeinde und ihr Vorrang

Der Vorrang des Apostels Petrus im Zwölferkreis und seine sowohl Juden wie Heiden umgreifende Missionstätigkeit fanden bereits im frühesten Kirchenverständnis ihren Niederschlag. Als Erstberufener und Osterzeuge eignete Petrus ein allgemein anerkanntes Ansehen, das sich in seiner Einmaligkeit jedoch einer Weitergabe entzog. Insofern er freilich im Glauben Jesus als Christus bekannte, kam ihm über den Dienst an den neutestamentlichen Gemeinden hinaus bleibende Bedeutung zu. Bezeichnenderweise hat die Alte Kirche auch die Primatsworte weitgehend auf den Glauben des Petrus hin ausgelegt, und dementsprechend beriefen sich die Bischöfe insgesamt auf Teilhabe am Petrusdienst.

Diese universale Bedeutung des Petruszeugnisses hat im Anspruch der römischen Bischöfe, unmittelbare Nachfolger des Erstapostels zu sein, eine die Geschichte der Kirche prägende Konzentration erfahren. Zwar weist die Tatsache einer kollegialen Leitung der römischen Gemeinde bis in die Mitte des 2. Jh. nicht auf eine unmittelbare Folge monarchischer Bischöfe oder gar eine ausdrückliche Petrussukzession. Das Wissen um eine (Blut-) Zeugenschaft Petri sowie die Amtslegitimation aufgrund der Einsetzung von Erstlingen durch die Apostel [1Klem5,4] boten aber jenen Rahmen, in dem sich der Nachfolgegedanke entfaltete, zumal an der Verbundenheit der römischen Gemeinde mit dem Erstapostel kein

Vernünftiger Zweifel besteht. Gewiss bekundet das Schreiben der römischen Gemeinde nach Korinth eher ekklesiale Mitverantwortung als Vorrang; ihr Ansehen aber bestätigt der antiochenische Bischof Ignatios, der ihren Vorsitz in Liebe rühmte und bewusst ihr besonderes Autoritätsverhältnis zu Petrus und Paulus hervorhob [Rom 4,3].

Über ein allgemeines Petrusbewusstsein hinaus, das seinen Niederschlag auch in der Diskussion um apostolische Gedenkstätten fand, betonen dann freilich jene Bischofslisten den Zusammenhang mit dem Erstapostel, zur Sicherung des apostolischen Kerygmas das Prinzip der Sukzession griffen. Eine solche Nachfolgereihe bis Eleutheros traf offensichtlich Hegesipp in Rom an [h.e.IV22, 3] und Eirenaios von Lyon [h.e. III3,3] bot erstmals eine vollständige Bischofsliste, anhebend mit Linus.

Seine theologische Absicht, mit Hilfe dieser Sukzessionsreihe Offenbarung gegen gnostischen Missbrauch zu sichern, entsprach der altkirchlichen Überzeugung, wonach in einer apostolischen Kirchengründung das Kerygma auf dem Weg bischöflicher Nachfolge gewahrt sei. Insofern wird man auch berühmte Formulierung des Eirenaios vom Vorrang der römischen Kirche nach Maßgabe der apostolischen Tradition deuten müssen, die für den Westen eben in Rom gegenwärtig ist. Diese Ursprungsbeziehung der römischen Gemeinde zu Petrus und Paulus steigerte ihr Ansehen allerdings auch im östlichen Kirchenbereich.


Ihre Rechtgläubigkeit erschien unbestritten (Rom 1,8), (Irr) Lehrer  suchten Anerkennung, und ein Aberkios ging dorthin, um ein Reich zu schauen und eine Königin zu sehen im Goldgewand und goldenen Schuhen. Als Hauptstadt übte Rom gewiss einen Sog auf die Gläubigen des Imperiums aus, aber Gemeinde hat sich nicht auf den politischen Rang berufen.

Unter den römischen Bischöfen dieser Zeit trat vor allem Viktor I. (189-199?) vor, der die weit verbreitete dominikale Osterfestpraxis gegenüber den Kirchen Kleinasiens durchsetzen wollte und sogar ihren Aus-schluss aus der Gemeinschaft drohte [h.e.V23]. Obwohl dem schroffen Vorgehen eine synodale Beratung vorausging, erhob sich scharfe Kritik, ein Zeichen für die Grenzen der Autorität des Bischofs Rom. Andererseits weist die Anlage einer Papstgruft im Bereich der Calixstuskatakombe auf ein Selbstverständnis, das seit der ersten Belegung mit Pontianus Würde mit dem Anspruch der Nachfolge verband.

Die Berufung auf das Felsenwort Mt 16,18 von Seiten römischer Bischöfe erfolgte allerdings erst im Laufe des Ketzertaufstreits, als Papst Stephan I. (254-257) seine besondere Autorität und zugleich römische Praxis mit dem Verweis auf die Nachfolge Petri begründete. Ursprünglich in bußtheologischem Zusammenhang eingesetzt, hat klassische Primatsstelle rasch an Bedeutung für die Argumentation zugunsten eines kirchlichen Vorranges Roms gewonnen, eine Diskussion, die selbst von Anstehenden wie dem Philosophen Porphyrios (+303) wahrgenommen wurde. Trotz dieses Anspruchs blieb zunächst auch der Bischof von Rom gebunden in das Gefüge der Großkirche, in dem sich ebenso die alten Rechte i Alexandrien und Antiochien behaupteten.

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