4. Die kirchliche Verfassung
Für den Bestand der christlichen Gemeinden und ihr
gemeinschaftliches Leben trug der Ausbau ihrer Ordnungsformen entscheidend bei.
Jesu gab keine konkrete Form von Ämtern in den Gemeinden, wohl aber eine
Weisung: Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein
will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der
Sklave aller sein (Mk 10,43). Diakonia
ist Dienst, der zur Sammlung und Erhaltung der Gemeinde geschieht, der Glauben
begründet und erhält, also kirchliches Amt. Das kirchliche Amt ist nicht
einfach Folge der nicht kommenden Wiederkunft Christi, denn der Dienst an der
Gemeinde galt vom Ursprung her als bleibende Aufgabe.
Die Vielfalt
neutestamentlicher Ordnungsformen
- Jerusalem
Die Urgemeinde von Jerusalem war die grundlegende Bedeutung
der Zwölf (Apostel), besonders mit Petrus, als berufene Zeugen des Lebens und der
Auferstehung Jesu (Mt 19,28). In Jerusalem übte das Leitungsgremium der drei
Säulen, Jakobus, Petrus und Johannes (Gal 2,9), Autorität aus. Daneben nahm ein
Kollegium von Ältesten (Presbyteroi) nach dem Vorbild der Synagoge Ordnungsaufgaben
(Apg 11,30; 21,18) wahr. Im übrigen war bei wichtigen Angelegenheiten die ganze
Gemeinde eingeschaltet. So wirkte bei der Bestellung der Sieben die ganze Schar
der Jünger (Apg 6,2.5) mit, und auch die Beschlüsse des Apostelkonzils kamen
mit der ganzen Gemeinde (Apg 15,22) zustande. Die erwähnten Sieben - keineswegs
Diakone im Sinne des späteren Amtes - galten ihrerseits als Leiter der
Hellenisten (kirchliche Verfassung als ein kollegialer Zug).
- Die paulinischen
Gemeinden
Ein anderes Bild boten die paulinischen Gemeinden, über
deren Ordnungsformen. Vor dem Hintergrund der organischen Leib-Christi-Vorstellung
(lKor12,12-27) zählt Paulus vielfache Dienste / Charismen auf. Gott hat in der
Kirche die einen als Apostel eingesetzt, die ändern als Propheten, die dritten
als Lehrer, ferner verlieh er die Kraft, Wunder zu tun, sodann die Gaben,
Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten
von Zungenrede (lKor12,28). Diese Charismen schenkt der Geist Gottes einzelnen
Gläubigen zur Auferbauung der Gemeinde (1Kor 12,7) und zum Dienst an den Nichtglaubenden.
Neben der Charismen kennt Paulus auch Dienste im Sinne von Beistehen und
Leiten, die nach lThess5,12 und Rom12,8 Vorsteher (Proistamenoi) waren. Diese
Vorsteher und Mitarbeiter werden Phil 1,1 als Episkopen und Diakone tituliert,
wobei die Aufgabe der Episkopen als eines Aufsehers über das Gemeindeleben zu
fassen ist. Nicht zu Unrecht hat man festgestellt, dass Episkopen und Diakone
weitgehend an die Ortsgemeinde gebunden waren.
Hingegen Apostel, Propheten und Lehrer (l Kor 12,28) waren gesamtkirchlich
tätig. Tatsächlich begegnen uns Episkopen nur in heidenchristlichen Gemeinden (Presbytern
in Apg 14, 23; 20, 17 ist eine nachträgliche Amtsbezeichnung des Lk) und sie
entsprachen den Presbyterkollegien palästinisch-judenchristlicher Ortskirchen. Es
entwickelte sich eine gegenseitige Durchdringung der unterschiedlichen
Ordnungsformen und ihrer Bezeichnungen (l Tim 3,2; 4,14; 5,17; Tit 1,5.7).
In nachpaulinischer Zeit wurden die Amtsbezeichnungen
Episkopos und Presbyter synonym verwendet, ein Zeichen für den Austausch der
Verfassungsformen. Die Didache forderte (15,1) den Dienst von Propheten und
Lehrern für Bischöfe und Diakone, die von der Gemeinde gewählt wurden; und 1Petr4,10
harmonisiert die Charismenordnung mit der palästinischen Presbyterverfassung.
Inzwischen hatte das Episkopenamt an Bedeutung gewonnen. Zusammen mit dem der
Diakone umschrieben (lTim3), deren Ursprung im Dienst beim Gemeindemahl zu
suchen ist, schärften sich die Konturen des Bischofs, dessen Funktion in der
Gemeinde mit der Rolle des Hausvaters (lTim 3,4-l2; Tit 1,7) verglichen wurde,
aber auch mit dem alttestamentlichen Leitbild des Hirten angereichert wurde
(Apg 20, 28; l Petr 2, 25).
Die
Institutionalisierung des kirchlichen Amtes
In einer gespannten Zeit der Erwartung auf die Parusie
entwickelte sich das kirchliche Amt. Der Verfasser des ersten Klemensbriefes (96)
hat diesen Zusammenhang mit Hilfe des Sukzessionsprinzips hergestellt. Die
Apostel empfingen das Evangelium vom Herrn Jesus Christus; Jesus, der Christus,
wurde von Gott gesandt. Christus kommt von Gott und die Apostel kommen von
Christus her; beides geschah demnach in schöner Ordnung nach Gottes Willen. Sie
empfingen also Aufträge, wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus
Christus mit Gewissheit erfüllt und durch das Wort Gottes in der Treue
gefestigt, zogen dann mit der Fülle des Heiligen Geistes aus und verkündeten
die frohe Botschaft von der Nähe des Gottesreiches. So predigten sie in Stadt
und Land und setzten ihre Erstlinge nach vorhergegangener Prüfung im Geiste zu
Bischöfen und Diakonen für die künftigen Gläubigen ein. Dies war nichts Neues
(Jes60,17): Ich will einsetzen ihre Bischöfe in Gerechtigkeit und ihre Diakone
in Treue.
Das Werden des kirchlichen Amtes ordnete den Befund nach
dem theologischen Prinzip der Sukzession, um das Kerygma zu sichern. Mit
zahlreichen Formen einer Berufung (bis zur Mitwirkung der Gemeinde) erscheint
das Amt von Bischöfen und Diakonen als göttliche Setzung; die Rede von bestellten
Presbytern unterstreicht nur diese Sicht. Die Handauflegung rabbinischer Praxis
hatte ein Charakter der legitimen Einsetzung, während sie in den
Pastoralbriefen (lTim4,14; 2Tim2,1) eher als Übertragung des Charismas
erscheint. Damit war eine Institutionalisierung des kirchlichen Amtes erreicht,
Der Monepiskopat
Die verschiedenen Dienste und Ämter verwiesen auf eine
zunehmende Bedeutung des Episkopos, auch wenn im Westen bis in die Mitte des 2.
Jh. kollegiale Organe die Gemeindeleitung ausübten.
l Klem 44,1.5 spricht schon von Presbytern und Episkope
(Aufseher) in Rom. Zum ersten Mal begegnet der Monepiskopat bei Ignatios von
Antiochien, wonach ein Bischof an der Spitze einer Gemeinde steht, dem ein
Kollegium von Presbytern und Diakonen untergeordnet ist. Der Verfasser, Bischof
von Syrien [Rom 2,2], stellt die monarchische
Verfassungsform in den Gemeinden [Magn 3,1; Trall 3,1; Smyrn 8,1] dar und so hat
er das Verständnis des bischöflichen Amtes stark beeinflusst. Als Abbild
Christi bzw. des Vater-Gottes nimmt der Bischof in der Gemeinde eine
einzigartige Stellung ein. Er verkündet das Ev-m, das gottesdienstliche
Geschehen konzentriert sich in seiner Gestalt, ihm obliegt die Leitung der
Gemeinde und als ihr Haupt garantiert er die kirchliche Einheit.
Während des 2. Jh. setzte sich dann der monarchische
Episkopat allgemein durch, und er erwies sich in den Konflikten als Angelpunkt
kirchlicher Selbstbehauptung. Schon die Kirchenordnung Hippolyts (215) übertrug
dem Bischof alle entscheidenden Funktionen in der Gemeinde. Unter Aufnahme
alttestamentlicher Leitbilder (Hohenpriester), steigerte die Analogie von
himmlischer und kirchlicher Rangordnung; Ihm gehörte eine unantastbare
Autorität zu. Liturgie und Verkündigung, Bußgewalt und Gemeindeleitung oblagen
dem Bischof, dessen Amt künftig die Verfassung der Kirche prägte. Die Tragweite
dieser Entwicklung erhellt aus dem Kirchenverständnis Cyprians von Karthago (+258),
der die Einheit der Kirche im Bischof gesichert sah, insofern er Anteil hat an
der Felsenfunktion des Erstapostels Petrus. Die Kirche gründet in den
Bischöfen, und jede kirchliche Handlung wird durch diese Vorgesetzten geleitet.
Gemeinde und
kirchliche Ämter
Der Ausbau der kirchlichen Verfassung verlagerte
Kompetenzen und Verantwortung in der Gemeinde auf den Bischof oder den Klerus,
der seit Klemens von Alexandrien zur Bezeichnung der bestellten kirchlichen
Mitarbeiter diente. Unter Verweis auf die alttestamentliche Kultordnung hatte
schon lKlem40,5 den Unterschied zwischen Laien und Priestern propagiert. Obwohl
das Volk das Recht den Bischof zu wählen (in eingeschränkter Form) hatte, verstärkte
die Sacerdotalisierung der kirchlichen Dienste das Eigengewicht des Klerus, im Sinn
eines Standes (ordo).
Die ursprüngliche Reserve gegenüber der Bezeichnung
Priester (Iereus, sacerdos), die im NT (Hebr5,6; 7,24) und im Sinne eines
allgemeinen Priestertums den Gläubigen (lPetr2,5.9; Offb1,6) verweigern war,
wird aufgegeben und auf den Bischof bzw. Presbyter als Vorsteher der
eucharistischen Feier übertragen. Durch seine kultische Funktion bekam er
priesterliche Qualität, die eine Differenz zum Kirchenvolk markierte.
Entsprechend den Bedürfnissen von Gottesdienst und
Gemeindeleben haben sich die kirchlichen Ämter rasch differenziert. Neben
Presbyterium und Diakonen zählt Papst Cornelius (251-253) Subdiakone,
Akolythen, Exorzisten, Lektoren und Ostiarier auf [h.e. VI 43,11]. Ihre
beträchtliche Zahl in der römischen Gemeinde weist auf eine intensive
kirchliche Praxis. Die Verkündigung gehörte im Westen zum Aufgabenbereich des
Bischofs, es waren auch eigenständige Lehrer tätig.
In der Mitarbeit der Gemeinden begegnen uns von Anfang an
auch Frauen (Rom 16,1-15); als Dienerin (Diakonissen) oder Witwen (lTim5,9;
Tit2,3) haben sie seelsorglich-karitativ gewirkt und vor allem im Osten eine
Einbindung in die kirchliche Ämterreihe erfahren. Allerdings verstärkte das
Auftreten von Frauen in häretischen Gemeinschaften den Vorbehalt gegen eine
Gleichberechtigung, und man dämmte ihre Wirksamkeit unter Rückgriff auf
emanzipationswidrige Leitbilder und asketische Motive ein. Diese Vielfalt der
Dienste ermöglichte im übrigen eine Bewährung für höhere Aufgaben in der
Gemeinde, wobei die Herkunft aus Priesterfamilien sogar mit dem Traditionsmotiv
gekoppelt wurde [h.e. V 24,6].
Die römische
Gemeinde und ihr Vorrang
Der Vorrang des Apostels Petrus im Zwölferkreis und seine
sowohl Juden wie Heiden umgreifende Missionstätigkeit fanden bereits im
frühesten Kirchenverständnis ihren Niederschlag. Als Erstberufener und
Osterzeuge eignete Petrus ein allgemein anerkanntes Ansehen, das sich in seiner
Einmaligkeit jedoch einer Weitergabe entzog. Insofern er freilich im Glauben
Jesus als Christus bekannte, kam ihm über den Dienst an den neutestamentlichen
Gemeinden hinaus bleibende Bedeutung zu. Bezeichnenderweise hat die Alte Kirche
auch die Primatsworte weitgehend auf den Glauben des Petrus hin ausgelegt, und
dementsprechend beriefen sich die Bischöfe insgesamt auf Teilhabe am
Petrusdienst.
Diese universale Bedeutung des Petruszeugnisses hat im
Anspruch der römischen Bischöfe, unmittelbare Nachfolger des Erstapostels zu
sein, eine die Geschichte der Kirche prägende Konzentration erfahren. Zwar
weist die Tatsache einer kollegialen Leitung der römischen Gemeinde bis in die
Mitte des 2. Jh. nicht auf eine unmittelbare Folge monarchischer Bischöfe oder
gar eine ausdrückliche Petrussukzession. Das Wissen um eine (Blut-) Zeugenschaft
Petri sowie die Amtslegitimation aufgrund der Einsetzung von Erstlingen durch
die Apostel [1Klem5,4] boten aber jenen Rahmen, in dem sich der Nachfolgegedanke
entfaltete, zumal an der Verbundenheit der römischen Gemeinde mit dem
Erstapostel kein
Vernünftiger Zweifel besteht. Gewiss bekundet das Schreiben der
römischen Gemeinde nach Korinth eher ekklesiale Mitverantwortung als Vorrang;
ihr Ansehen aber bestätigt der antiochenische Bischof
Ignatios, der ihren Vorsitz in Liebe rühmte und bewusst ihr besonderes
Autoritätsverhältnis zu Petrus und Paulus hervorhob [Rom 4,3].
Über ein allgemeines Petrusbewusstsein hinaus, das seinen Niederschlag
auch in der Diskussion um apostolische Gedenkstätten fand, betonen dann
freilich jene Bischofslisten den Zusammenhang mit dem Erstapostel, zur
Sicherung des apostolischen Kerygmas das Prinzip der Sukzession griffen. Eine
solche Nachfolgereihe bis Eleutheros traf offensichtlich Hegesipp in Rom an
[h.e.IV22, 3] und Eirenaios von Lyon [h.e. III3,3] bot erstmals eine
vollständige Bischofsliste, anhebend mit Linus.
Seine theologische Absicht, mit Hilfe dieser
Sukzessionsreihe Offenbarung gegen gnostischen Missbrauch zu sichern, entsprach
der altkirchlichen Überzeugung, wonach in einer apostolischen Kirchengründung
das Kerygma auf dem Weg bischöflicher Nachfolge gewahrt sei. Insofern wird man
auch berühmte Formulierung des Eirenaios vom Vorrang der römischen Kirche nach
Maßgabe der apostolischen Tradition deuten müssen, die für den Westen eben in
Rom gegenwärtig ist. Diese Ursprungsbeziehung der römischen Gemeinde zu Petrus und
Paulus steigerte ihr Ansehen allerdings auch im östlichen Kirchenbereich.
Ihre Rechtgläubigkeit erschien unbestritten (Rom 1,8), (Irr)
Lehrer suchten Anerkennung, und ein
Aberkios ging dorthin, um ein Reich zu schauen und eine Königin zu sehen im
Goldgewand und goldenen Schuhen. Als Hauptstadt übte Rom gewiss einen Sog auf
die Gläubigen des Imperiums aus, aber Gemeinde hat sich nicht auf den
politischen Rang berufen.
Unter den römischen Bischöfen dieser Zeit trat vor allem
Viktor I. (189-199?) vor, der die weit verbreitete dominikale Osterfestpraxis
gegenüber den Kirchen Kleinasiens durchsetzen wollte und sogar ihren Aus-schluss
aus der Gemeinschaft drohte [h.e.V23]. Obwohl dem schroffen Vorgehen eine
synodale Beratung vorausging, erhob sich scharfe Kritik, ein Zeichen für die
Grenzen der Autorität des Bischofs Rom. Andererseits weist die Anlage einer
Papstgruft im Bereich der Calixstuskatakombe auf ein Selbstverständnis, das
seit der ersten Belegung mit Pontianus Würde mit dem Anspruch der Nachfolge
verband.
Die Berufung auf das Felsenwort Mt 16,18 von Seiten
römischer Bischöfe erfolgte allerdings erst im Laufe des Ketzertaufstreits, als
Papst Stephan I. (254-257) seine besondere Autorität und zugleich römische
Praxis mit dem Verweis auf die Nachfolge Petri begründete. Ursprünglich in
bußtheologischem Zusammenhang eingesetzt, hat klassische Primatsstelle rasch an
Bedeutung für die Argumentation zugunsten eines kirchlichen Vorranges Roms
gewonnen, eine Diskussion, die selbst von Anstehenden wie dem Philosophen
Porphyrios (+303) wahrgenommen wurde. Trotz dieses Anspruchs blieb zunächst
auch der Bischof von Rom gebunden in das Gefüge der Großkirche, in dem sich
ebenso die alten Rechte i Alexandrien und Antiochien behaupteten.
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