6. Irrlehre und
Schisma in den ersten drei Jahrhunderten
Bereits zur Zeit der Apostel gab
es Irrlehrer und erste Spaltungen. Der Apostel Paulus musste die Christengemeinde von Korinth in
innerkirchlichen Spannungen trösten. Er verwies auf die tiefe Bedeutung solcher
Auseinandersetzungen, wenn er schreibt: Denn es muss Parteiungen geben unter
euch; nur so wird sichtbar, wer unter euch treu und zuverlässig ist (1 Kor
11,19). Gegen Ende des 1. Jh. erhob im hohen Greisenalter von fast 90 Jahren
der letzte noch lebende Apostel, Johannes,
seine Stimme, um gegenüber irrigen Auffassungen die unverkürzte
Botschaft über Christus und sein Gottesreich zu verkünden
A. Judenchristliche
Sekten
Bereits im Neuen Testament, vor
allem in den paulinischen und johanneischen Schriften, werden einzelne
Richtungen des Judenchristentums immer profilierter, die in drei Grundfragen
sich deutlich vom Glauben der christlichen Gemeinden abheben:
- in einer doketisch und
adoptianisch gefärbten Christologie,
- in einem machtvollen Chiliasmus,
- in der bleibenden
Verbindlichkeit des mosaischen
Gesetzes.
Im Ostjordanland (Pella) kam es
um die Mitte des 2. Jh. zur Bildung häretischer Gruppen von Ebioniten (wohl abgeleitet von dem
hebräischen Wort ebjon = arm) und Elkesaiten (Elchosai = geheime Kraft).
Kerinth (Kleinasien) ein Judaist,
der behauptete, dass Jesus war nur ein Mensch. Bei der Taufe ist auf ihn der
göttliche Christus herabgekommen (Taube als Kraft Gottes). Beim Leiden und Tod
hat Christus den Leib verlassen – Doketismus (Scheinleib). Apostel Johannes
schrieb gegen ihn das Evangelium und die Briefe.
Die Sekte der Mandäer (manda = Erkenntnis) dürfte
wohl im Zusammenhang mit jüdischen Täufergemeinschaften gestanden haben, die
den Täufer Johannes hoch verehrten. Heute noch leben ebionitische Gruppen im
Gebiet des unteren Euphrat und Tigris.
B. Gnosis
Erst durch den Fund einer umfangreichen gnostischen
Gemeindebibliothek (13 Handschriften mit etwa 1000 Seiten, von denen 794 ganz
erhalten sind, u. a. das Thomas-Evangelium), die 1945/46 in der Nähe der
oberägyptischen Stadt Nag Hammadi (100 km nördlich von Luxor) entdeckt werden
konnte, ist eine genaue Kenntnis der Gnosis möglich geworden. Rudolf Bultmann
schreibt von der Gnosis, die als die gefährlichste Rivalin des Christentums anzusehen
ist und die christlichen Gemeinden zu unterwandern suchte:
Als Gnosis bezeichnen wir ein in seinen konkreten
Gestaltungen vielfältiges, in seiner Grundstruktur aber einheitliches
religionsgeschichtliches Phänomen. Zuerst greifbar und die Forschung fesselnd
als eine Bewegung innerhalb des Christentums, galt die Gnosis lange Zeit als
eine innerchristliche Bildung, nämlich als eine Verwandlung des christlichen
Glaubens in eine spekulative Theologie, als akute Hellenisierung des
Christentums. Die Forschung erkannte mehr und mehr, dass die Gnosis in Wahrheit
eine religiöse Bewegung vorchristlichen Ursprungs ist, die in verschiedenen
Formen aus dem Orient als Konkurrentin des Christentums in den Westen eindrang.
Typische
Merkmale der gnostischen Heilslehre:
Dualismus Mit
gleichzeitiger Leib- und Materieverachtung. Konsequenz: doketische Christologie
–
Christus hat nur
einen Scheinleib gehabt - und verstiegene Askese: Reinheitsriten.
Gnosis Erkenntnis als Weg zur Erlösung und zum
Heil. Individualistische Mystik und
Frömmigkeit,
die weder des Kultus noch der Gemeinde bedarf.
Die Anfänge des christlichen Gnostizismus wurden mit den Anhängern Simons des Magiers und seinen Nachfolgern Menander und Satornil
verbunden. Die gnostischen Gruppen der Ophiten,
nach denen die Schlange dem Menschen
Erkenntnis vermittelt, sowie der Peraten
und Sethianer boten ähnliche
Antworten an, wobei ihre Systeme mit zahlreichen mythischen Elementen
durchsetzt waren.
Zu den Gnostikern in Alexandrien zählte Basilides (145), der einen umfänglichen
Kommentar zu den vier Evangelien geschrieben hat und unter dem Anspruch,
unmittelbare Überlieferungen empfangen zu haben, einem scheinbaren Mensch
gewordenen Christus die Befreiung der Menschen aus den Fesseln des Archonten (Obrigkeit) zuschrieb.
Eine große Werbekraft für die gnostische Bewegung
entfaltete der Ägypter Valentinos (+160),
der um die Mitte des 2. Jh. in Rom wirkte, dort zeitweilig enge Kontakte zur
christlichen Gemeinde pflegte und zahl-reiche Schriften verfasste, darunter ein
Evangelium der Wahrheit. Ausgehend
von einem entschiedenen Dualismus, sah er im unsichtbaren Gott den Ursprung von
Emanationen, deren Abwärtsentwicklung bis zur Einbindung göttlichen Samens in
die Materie führt, ein Zustand, aus dem sich der Mensch kraft der Gnosis wieder
befreien kann.
Theodotos (2.Jh.), Valentinos Schüler, war
in Kleinasien tätig; er formulierte jene charakteristischen Fragen, die in der
Gnosis einer eigenwilligen Antwort zugeführt wurden: Wer waren wir, was sind
wir geworden; wo waren wir, wohin sind wir geworfen; wohin eilen wir, wovon
werden wir frei; was ist Geburt, was Wiedergeburt?
Angesichts solcher Auflösungstendenzen sah sich das
kirchliche Christentum genötigt, die biblische Offenbarung in ihrer Ganzheit zu
wahren und ihren geschichtlichen Charakter sicherzustellen. Zahlreiche
Gegenschriften entstanden, von denen viele verlorengingen; doch ein Werk wie Gegen
die Häresien des Eirenaios von Lyon oder Tertullians - Einspruch Gegen Markion zeigen die Stoßrichtung antignostischer
Argumentation. Mit dem Grund auf apostolische Tradition (Sukzession) und der
Bestimmung des Kanons widerstand man dem subjektiven Offenbarungsanspruch der
Gnostiker.
In die Mitte der Auseinandersetzung trat die Betonung der Menschheit Christi und des
Kreuzestodes als Grund der Erlösung,
um so jeder Entleerung des göttlichen Heilsgeschehens entgegenzuwirken. Ohne
Zweifel hat die Auseinandersetzung mit dem Gnostizismus die Entfaltung des
Glaubensbewusstseins gefördert und immer stärker das Erscheinungsbild der
großen Kirche geformt. Mit dem Ausschluss der Häretiker gewann zusehends die
Rechtgläubigkeit an Boden, wobei sich nicht zuletzt die römische Gemeinde als
ihr Hort erwies.
Markion
Die kirchliche Reaktion hat in besonderer
Weise Markion (+160), Antijudaist, herausgefordert, der als vermögender
Schiffseigner wegen Sonderlehren mit seiner heimatlichen Christengemeinde Sinope am Schwarzen Meer, Pontus, in
Konflikt geraten war und sich auf seinen kommerziell-missionarischen Seefahrten
schließlich in der römischen Gemeinde einführte. Anschließend an die gnostische
Verwerfung des alttestamentlichen Schöpfergottes, der das Joch des Gesetzes
auferlegte, verkündete Markion einen
Gott der Liebe, den er nur im Lk Ev sowie im paulinischen Schrifttum zu erkennen
meinte. In seinen Antitheseis suchte er diesen Widerspruch zum AT
aufzuweisen und den Glauben ohne Furcht gegenüber dem fremden Gott als Haltung
des Erlösten darzustellen. Mit dem Gebot der Liebe verband er einen ethischen
Rigorismus, der in Ehelosigkeit sowie Verzicht auf Fleisch und Wein gipfelte,
um so das Ideal einer heiligen Kirche zu verwirklichen. Die Organisation der
Markionitischen Gemeinschaft, ähnlich dem Erscheinungsbild der christlichen Gemeinden, sicherte
ihr im Verbund mit einer ausgreifenden Mission anhaltenden Bestand. Er lehrte
vom Scheingeschehen in Geburt und Kreuzigung Christi. Die Kirche gab zur
Antwort - die Ausbildung des biblischen Kanons.
C. Geistbewegung und Kirchenanspruch (Schisma)
Montanismus
In enthusiastischer Weise wurde das
tausendjährige Reich Christi (Chilialismus) und die Herabkunft des himmlischen
Jerusalem (in Pepuza) von Montanus um 156 - 172 in Phrygien verkündigt.
Ethischer Rigorismus wurde von allen Mitgliedern gefordert, um sich durch
Gebet, Fasten und Bereitschaft zum Martyrium auf dieses Heilsreignis
vorzubereiten. Der bedeutendste Verfechter des herben und düsteren Montanismus
war Tertullian.
Manichäismus
Der Manichäismus (Mani, +277) stellt eine Mischreligion aus
persischen, buddhistischen, babylonisch-chaldäischen, jüdischen und
christlichen Bestandteilen dar. Sein Hauptgepräge hat er vom Dualismus
empfangen, wonach zwei Grundprinzipien, das Urgute (Licht, Lichtkönig,
Urmensch) und das Urböse (Finsternis, Urteufel), miteinander im Kampfe liegen.
Weil das Licht und der Urmensch unter die Knechtschaft der Finsternis und der
Materie gerieten, wird Christus, der nur mit einem Scheinleib ausgerüstet war,
vom Lichtkönig geschickt, um das Licht und die Menschen aus der Knechtschaft
der Finsternis zu befreien. Erst nach mühseligem Ringen gelingt die endgültige
Scheidung des Lichtreiches vom Reich der Finsternis. Auch Augustinus war vor
seiner Bekehrung längere Zeit Anhänger des Manichäismus, da er hier das Problem
des Ursprungs des Bösen in der Welt gelöst sah.
Ketzertaufe
Die Frage nach der Gültigkeit der Sakramente, die von Abgefallenen gespendet werden (Ketzertaufe),
wie auch die Frage nach der Wiederaufnahme der Gefallenen (lapsi) führte zu ernsten
innerkirchlichen Spannungen und zum ersten Papstschisma, brachte aber auch
gleichzeitig eine vertiefte Sicht der Sakramenten- und Kirchentheologie.
Weitere Folge des Streites
(Wiederaufnahme der Gefallenen und zweite Taufe) ist der Donatismus.
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